Leoš Janáček | Des Spielmanns Kind | Gürzenich-Orchester Köln | Natalie Chee | François-Xavier Roth
Das Gürzenich-Orchester Köln spielt »Des Spielmanns Kind« (1912) von Leoš Janáček mit Natalie Chee als Violinsolistin unter der Leitung von François-Xavier Roth.
Die Aufnahme entstand bei einem Konzert-Livestream am 10. Mai 2022.
Aus einem Gedicht von Svatopluk Čech machte der Komponist eine (Rück-) Reise in die Bedrückung der Provinz. Bei Čech wird ein Märchen erzählt: Ein Spielmann ist gestorben, er hinterlässt seine Violine und ein Baby. Die alte Frau, die das Waisenkind betreut, schläft an der Wiege ein. Der Geist des Spielmanns erscheint, nimmt die Geige und lockt mit seinem Spiel das Kind in eine jenseitige Welt. Als die Betreuerin erwacht, ist das Kind tot, die Geige verschwunden. Anders als im Gedicht spielt die alte Frau in der Musik keine Rolle, die Obrigkeit – bei Čech knapp erwähnt – dafür umso mehr. »Der Allmächtige ist der Dorfrichter«, schreibt Janáček über vier Töne: kleine Terz aufwärts, kleine Sekunde abwärts, große aufwärts. Bedrohlich, auch wenn das in aller Schwärze nur einmal, spät, von Posaunen und Tuba gespielt wird. »Wohin er blickt, unterwerfen sich alle seinem Willen.«
Dieser Wille – oder eben die Dorfmoral – ist omnipräsent. Man hört die Tonfolge schon anfangs in Flöte und Fagott, bald nach dem ersten Thema der Solovioline, das den Tod des Spielmanns darstellt. Und in diese Tonfolge mündet alles, am Ende wie in ergebener Verklärung in schimmernder Höhe. Auf dem Weg dorthin: Das Spiel des Geistes an der Wiege als Reminiszenz an heitere Tage, die es auch einmal gab, dazu »goldene Träume« armer Leute, die nur im Jenseits reich sein können. Im Orchester werden melancholische Episoden immer wieder von aggressiven Kürzeln durchzuckt, die wie Drohungen ohne Worte wirken.
Wie hier Emotionen, Stimmungen und Bestimmungen auf knappe Formeln gebracht und gegeneinander gesetzt werden, mitunter fast motorisch addiert, das zeigt den Musikdramatiker Janáček ebenso wie die Spannung des ganzen Werks – sie bleibt untergründig und führt zu keinem Happy End. Es ist, als habe der Spielmann das Kind vor einer Welt bewahren wollen, in der er selbst zugrunde ging. Janáčeks eigene Kinder lebten nicht mehr, als er die Komposition schuf: Sein Sohn war mit zwei Jahren, seine Tochter mit zwanzig gestorben. Die geplante Uraufführung wurde übrigens wegen zu knapper Probenzeit verschoben, die gedruckte Partitur bekam der Komponist zum Sechzigsten von Brünner Bewunderern geschenkt – und dann begann der Erste Weltkrieg.
www.guerzenich-orchester.de
Видео Leoš Janáček | Des Spielmanns Kind | Gürzenich-Orchester Köln | Natalie Chee | François-Xavier Roth канала Gürzenich-Orchester Köln
Die Aufnahme entstand bei einem Konzert-Livestream am 10. Mai 2022.
Aus einem Gedicht von Svatopluk Čech machte der Komponist eine (Rück-) Reise in die Bedrückung der Provinz. Bei Čech wird ein Märchen erzählt: Ein Spielmann ist gestorben, er hinterlässt seine Violine und ein Baby. Die alte Frau, die das Waisenkind betreut, schläft an der Wiege ein. Der Geist des Spielmanns erscheint, nimmt die Geige und lockt mit seinem Spiel das Kind in eine jenseitige Welt. Als die Betreuerin erwacht, ist das Kind tot, die Geige verschwunden. Anders als im Gedicht spielt die alte Frau in der Musik keine Rolle, die Obrigkeit – bei Čech knapp erwähnt – dafür umso mehr. »Der Allmächtige ist der Dorfrichter«, schreibt Janáček über vier Töne: kleine Terz aufwärts, kleine Sekunde abwärts, große aufwärts. Bedrohlich, auch wenn das in aller Schwärze nur einmal, spät, von Posaunen und Tuba gespielt wird. »Wohin er blickt, unterwerfen sich alle seinem Willen.«
Dieser Wille – oder eben die Dorfmoral – ist omnipräsent. Man hört die Tonfolge schon anfangs in Flöte und Fagott, bald nach dem ersten Thema der Solovioline, das den Tod des Spielmanns darstellt. Und in diese Tonfolge mündet alles, am Ende wie in ergebener Verklärung in schimmernder Höhe. Auf dem Weg dorthin: Das Spiel des Geistes an der Wiege als Reminiszenz an heitere Tage, die es auch einmal gab, dazu »goldene Träume« armer Leute, die nur im Jenseits reich sein können. Im Orchester werden melancholische Episoden immer wieder von aggressiven Kürzeln durchzuckt, die wie Drohungen ohne Worte wirken.
Wie hier Emotionen, Stimmungen und Bestimmungen auf knappe Formeln gebracht und gegeneinander gesetzt werden, mitunter fast motorisch addiert, das zeigt den Musikdramatiker Janáček ebenso wie die Spannung des ganzen Werks – sie bleibt untergründig und führt zu keinem Happy End. Es ist, als habe der Spielmann das Kind vor einer Welt bewahren wollen, in der er selbst zugrunde ging. Janáčeks eigene Kinder lebten nicht mehr, als er die Komposition schuf: Sein Sohn war mit zwei Jahren, seine Tochter mit zwanzig gestorben. Die geplante Uraufführung wurde übrigens wegen zu knapper Probenzeit verschoben, die gedruckte Partitur bekam der Komponist zum Sechzigsten von Brünner Bewunderern geschenkt – und dann begann der Erste Weltkrieg.
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