Erich Honecker - Das Interview
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13.03.1991 - Der Journalist Harald Lüders (HR) und ein britischer Kollege sind nach Moskau gereist und haben mit dem Exstaatschef ein siebenstündiges Interview gedreht; 45 Minuten davon kamen vor das vereinte deutsche Fernsehpublikum. Es ging um den Haftbefehl, der Honecker an der Heimkehr hindert, um die deutsche Revolution, den Russenputsch, die Mauerschützen und so fort. Bewegungslos, mit rosigem Angesicht, ein wehes Lächeln auf den Lippen, so saß er da, der alte Zombie, und nuschelte mit seinem sächsisch eingefärbten Feldwebel-Diskant die bekannten Apparatschik-Phrasen hervor, die es jetzt, wo der Mann nicht mehr gefährlich ist, so unwahrscheinlich klingen lassen, daß er je gefährlich war.
Lüders fragte klar und zügig, ohne zu drängen. Seinem Gegenüber muß es Überwindung abverlangt haben, die respektlose Zivilanrede "Herr Honecker" zu ertragen. Er konterte durch obstinates Aussprechen aller Titel seiner abgefallenen Weggefährten, obwohl ja jene inzwischen so viel Wert sind wie Papierrubel. Markus Wolf zum Beispiel ist der "ehemalige stellvertretende Minister für Staatssicherheit", und das perlt immer noch von den Lippen des ehemaligen Großen Vorsitzenden, ganz wie der volle Name seines ehemaligen Staates, dessen Nennung ein Gutteil der sieben Interviewstunden in Anspruch genommen haben muß. Als könne er sie wiederhaben, seine "Deudsch-Demograadisch-Reblik", rief Honecker sie sehnsuchtsvoll bei Namen wie eine entlaufene Braut.
Der Mann versteht die Welt nicht mehr. Um so wichtiger, daß die Welt ihn versteht. Ein Interview wie das von Lüders schafft dafür eine Voraussetzung. Den Beweis wollte die Runde liefern, die, von Hans-Jürgen Börner in N 3 versammelt, sich interpretierend des Dokuments annahm. Peter Merseburger, Günther Schabowski, Peter Bender – sie und andere wußten nur zu sagen, was offensichtlich war: daß der alte Mann der ewige Funktionär sei, "verdummt durch Ideologie", daß seine Rede für den "zum Habitus gewordenen Umgang mit Lügen" zeuge und seine Inflexibilität schon fast für Charakter. Warum konnte man nicht tiefer schürfen und bedeuten, daß auf Honeckers Gesicht nicht weniger als der anti-aufklärerische Strang des 19. Jahrhunderts, die menschenfresserische Besessenheit von der Erlösungshoffnung, der blutige Chiliasmus sein Abschiedslächeln malt? Wenn schon, denn schon. Daß Honecker ein verkalkter Apparatschik ist, nimmt der Zuschauer auch ohne Diskussionsrunde wahr.
Sieben Stunden Material haben die Interviewer aus Moskau mitgebracht – was für ein Film wäre daraus geworden, hätte der Interviewte selbst schneiden dürfen? Wahrscheinlich eine Folge jener "Vertiefungen", in denen der Gestürzte – Lüders konnte ihn nicht davon abbringen – vorbereitete Statements verlas. Mit dem Effekt, daß Honeckers Schwanengesang eine Einschaltquote von 0,00 Prozent erreicht und damit sein und des Kommunismus Ende televisionär besiegelt hätte.
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13.03.1991 - Der Journalist Harald Lüders (HR) und ein britischer Kollege sind nach Moskau gereist und haben mit dem Exstaatschef ein siebenstündiges Interview gedreht; 45 Minuten davon kamen vor das vereinte deutsche Fernsehpublikum. Es ging um den Haftbefehl, der Honecker an der Heimkehr hindert, um die deutsche Revolution, den Russenputsch, die Mauerschützen und so fort. Bewegungslos, mit rosigem Angesicht, ein wehes Lächeln auf den Lippen, so saß er da, der alte Zombie, und nuschelte mit seinem sächsisch eingefärbten Feldwebel-Diskant die bekannten Apparatschik-Phrasen hervor, die es jetzt, wo der Mann nicht mehr gefährlich ist, so unwahrscheinlich klingen lassen, daß er je gefährlich war.
Lüders fragte klar und zügig, ohne zu drängen. Seinem Gegenüber muß es Überwindung abverlangt haben, die respektlose Zivilanrede "Herr Honecker" zu ertragen. Er konterte durch obstinates Aussprechen aller Titel seiner abgefallenen Weggefährten, obwohl ja jene inzwischen so viel Wert sind wie Papierrubel. Markus Wolf zum Beispiel ist der "ehemalige stellvertretende Minister für Staatssicherheit", und das perlt immer noch von den Lippen des ehemaligen Großen Vorsitzenden, ganz wie der volle Name seines ehemaligen Staates, dessen Nennung ein Gutteil der sieben Interviewstunden in Anspruch genommen haben muß. Als könne er sie wiederhaben, seine "Deudsch-Demograadisch-Reblik", rief Honecker sie sehnsuchtsvoll bei Namen wie eine entlaufene Braut.
Der Mann versteht die Welt nicht mehr. Um so wichtiger, daß die Welt ihn versteht. Ein Interview wie das von Lüders schafft dafür eine Voraussetzung. Den Beweis wollte die Runde liefern, die, von Hans-Jürgen Börner in N 3 versammelt, sich interpretierend des Dokuments annahm. Peter Merseburger, Günther Schabowski, Peter Bender – sie und andere wußten nur zu sagen, was offensichtlich war: daß der alte Mann der ewige Funktionär sei, "verdummt durch Ideologie", daß seine Rede für den "zum Habitus gewordenen Umgang mit Lügen" zeuge und seine Inflexibilität schon fast für Charakter. Warum konnte man nicht tiefer schürfen und bedeuten, daß auf Honeckers Gesicht nicht weniger als der anti-aufklärerische Strang des 19. Jahrhunderts, die menschenfresserische Besessenheit von der Erlösungshoffnung, der blutige Chiliasmus sein Abschiedslächeln malt? Wenn schon, denn schon. Daß Honecker ein verkalkter Apparatschik ist, nimmt der Zuschauer auch ohne Diskussionsrunde wahr.
Sieben Stunden Material haben die Interviewer aus Moskau mitgebracht – was für ein Film wäre daraus geworden, hätte der Interviewte selbst schneiden dürfen? Wahrscheinlich eine Folge jener "Vertiefungen", in denen der Gestürzte – Lüders konnte ihn nicht davon abbringen – vorbereitete Statements verlas. Mit dem Effekt, daß Honeckers Schwanengesang eine Einschaltquote von 0,00 Prozent erreicht und damit sein und des Kommunismus Ende televisionär besiegelt hätte.
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